In dieser Workshop-Reihe liefert der Freeware-Synthesizer-Entwickler Björn Arlt Erklärungen über den Aufbau verschiedener Klangsynthesen bei Synthesizern. Eine Serie (längst nicht nur) für Einsteiger.

Ein ausführliches Interview mit Björn Arlt haben wir mit ihm hier geführt.

Ein Wort zum Geleit

Die professionelle Klangsynthese ist mindestens so alt wie der erste Versuch eines Menschen, den Ruf des Beutetieres nachzuahmen, um es anzulocken und hernach zu erlegen (streng genommen handelt es sich hierbei um Klangresynthese). Doch vielleicht schon früher fand der Mensch Gefallen daran, Laute ohne einen derart praktischen Hintergrund zu synthetisieren.

Flöten, Trommeln, Hörner und Saiteninstrumente dienten nicht nur dem lustigen Musikanten dazu, seine Musik zu intonieren, sondern stellten auch den Instrumentenbauer vor ungeahnte Herausforderungen.

Diesen nahm Letzterer sich meist voller Inbrunst an, und schon kommt der nächste professionelle Aspekt der Klangsynthese ins Spiel. Denn wer ungewöhnliche, neue Töne mithilfe seiner Instrumente erzeugen kann, der erweckt das Interesse der Musici samt ihrer Gönner und ist wirtschaftlich im Vorteil.

Dieses Muster zieht sich durch die Geschichte der Musik, und spätestens seit dem Erscheinen des DX7 vor 35 Jahren versuchen die Hersteller, uns mit immer neuen Spielarten der verbauten Tonerzeugung zu beglücken.

Grund genug, der Klangsynthese eine eigene Themenreihe zu spendieren. Wird man beim Lesen dadurch automatisch reich? Eher nein. Wird der Autor reich? Kaum anzunehmen. Versuchen wir uns also stattdessen dem Thema „Klangsynthese“ aus reiner Wissbegier und Freude an der Sache zu widmen.

Ich werde dabei versuchen, die dahinterstehenden Konzepte mit so wenig Mathematik wie möglich darzustellen. Tiefschürfende Erkenntnisse, Kommentare und Details, die für das Verständnis der Thematik nicht so wichtig sind, erscheinen in einer Box wie dieser hier.

Viel Spaß beim Lesen!

Klangsynthese – Wie und wozu?

Manche Dinge machen von sich aus Krach (zersplitterndes Glas, Wasserfälle) oder erzeugen vielleicht sogar Töne (pfeifender Wind, quietschende Reifen). Meist lassen sich solche Geräusche aber nur schwer für musikalische Zwecke zähmen.

Man benötigt ein möglichst effizientes Verfahren, reproduzierbar (!) einen Klang zu erzeugen. Dazu müssen wir natürlich wissen, was eigentlich so ein Klangist.

Klänge sind grundsätzlich Schwingungen– Luftmoleküle stoßen mehr oder minder stark aneinander und transportieren somit (Schall-)Wellen zu den Ohren, wo sie in elektrische Impulse umgewandelt an das Gehirn geschickt und dort wahrgenommen werden. Diese Schwingungen lassen sich als periodischoder aperiodischcharakterisieren:

  • Periodische Schwingungen enthalten ein mehr oder minder regelmäßig wiederkehrendes Muster (Wellenform) und werden als „Ton“ wahrgenommen.
  • Aperiodische Schwingungen dagegen weisen kein solches Muster auf und klingen eher nach „Krach“.

Eine periodische Schwingung (links) und eine aperiodische Schwingung (rechts).

Da sich das Muster einer periodischen Schwingung immer schön mit einer bestimmten Frequenz wiederholt, hören wir einen Ton mit einer bestimmten Tonhöhe – falls die Frequenz im hörbaren Bereich von ca. 16 bis 20000 Hertz liegt. Bei der aperiodischen Schwingung ist das nicht so, eine eindeutige Tonhöhe ist hier nicht erkennbar.

In der Praxis sind fast alle „interessanten“ Klänge Mischformen von periodischen und aperiodischen Schwingungen. Ein tolles Beispiel ist der Gong: Klingt irgendwie tonal, aber die genaue Tonhöhe kann man nur erahnen. Rauscht und rumpelt da nicht auch irgendwas?

Klangsynthese – Zwei Klassiker

Nehmen wir mal ein weiteres, typisches Klangbeispiel: das Klavier. Drückt man eine Klaviertaste, so hört man zuerst für einen sehr kurzen Zeitraum einen „geräuschhaften“ Klang (das Aufschlagen des Hammers auf die Saite) und erst danach den „Ton“ (das Schwingen der Saite).

Diesen Umstand hat sich in den späten 1980er Jahren der japanische Hersteller Roland zunutze gemacht und die erstmals im berühmten D-50 verbaute LA-Syntheseaus der Taufe gehoben (LA steht für linear-arithmetisch– es geht doch nichts über Marketing-Sprache!).

Die Idee hierbei ist, zuerst das kurze Klangschnipselchen (Sample) z. B. eines Anschlaggeräusches abzuspielen und dann in ein periodisch wiederholtes, typischerweise noch kürzeres Sample (eine einzelne Wellenform) zu überblenden.

Klingt einleuchtend, aber auch wie ein Klavier? Nun ja, der D-50 ist weniger für seinen Piano- als für seinen legendären „Fantasia“-Sound bekannt geworden …

Einen ganz anderen Weg gingen schon ab den 70er Jahren die Hersteller New England Digital und Yamaha mit der FM-Synthese(FM steht für Frequenz-Modulation). Endgültig berühmt wurde sie 1983 mit der Einführung des noch legendäreren Yamaha DX7 (dass im NED Synclavierneben Sampling ebenfalls die FM werkelt, ist weniger bekannt).

Hier wird jedenfalls eine ursprünglich reine periodische Sinus-Schwingung durch eine andere Sinus-Schwingung in ihrer Frequenz moduliert und „verzerrt“.

Ja ja, ich weiß, so ganz einfach ist das nicht… mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit arbeitet im DX7 tatsächlich eine Phasen-Modulation, was im Falle einer Sinus-Schwingung das gleiche ist … geschenkt!

Da die modulierende Schwingung wiederum selbst frequenzmoduliert werden kann, darf man tatsächlich glauben, dass sich mit der FM-Synthese so ziemlich jeder beliebige Klang erzeugen lässt.

Allerdings weit weniger anschaulich als bei der LA-Synthese – will man mit dem DX7 einen piano-ähnlichen Klang erzeugen, muss man sich ganz schön anstrengen. Doch auf dem Weg dahin erhält man ganz zufällig und gratis die tollsten bis dato (beinahe) ungehörten Sounds und die Erkenntnis, dass Klangsynthese offenbar Erstaunliches zu leisten vermag!

Wellenformen formen

Doch bevor wir uns ausführlicher mit LA-, FM- oder anderen Synthese-Arten beschäftigen, sollten wir ein paar Schritte zurück gehen und uns mit ein paar sehr nützlichen Grundlagen vertraut machen. Wir erinnern uns: Klänge bestehen aus periodischen und/oder aperiodischen Schwingungen. Ziel ist es, eine beliebige Schwingung zu synthetisieren.

Betrachten wir mal nur die periodischen Schwingungen. Offenbar ist die meiste Synthese-Arbeit erledigt, wenn man die einzelne, der Schwingung zugrunde liegende Wellenform, erzeugen kann. Denn die wird ja dauernd wiederholt – fertig! Irgendwie muss es uns also gelingen, die Wellenform selbst zu synthetisieren.

Während sich bei der periodischen Schwingung (links) die Wellenform regelmäßig wiederholt, sind bei der aperiodischen Schwingung (rechts) die Wellenformen der einzelnen Segmente alle verschieden.

Was hindert uns jetzt daran, eine ganze aperiodische Schwingung in kleine aufeinanderfolgende Schnipsel (Segmente) zu zerlegen und jedes Segment als eigene Wellenform aufzufassen? Jedes einzelne Segment könnte man dann genauso erzeugen, wie man es bei der Wellenform einer periodischen Schwingung machen würde.

Wer genau hinsieht, merkt natürlich schnell, dass wir ein Problem haben: Die Wellenform eines Segmentes muss genau bei dem Wert enden, bei dem die Wellenform des nächsten Segmentes anfängt (Kontinuität)! Das gilt für aperiodische und periodische Schwingungen gleichermaßen und macht die Wellenform-Synthese nicht einfacher. Schon nähern wir uns dem schönen Thema der Analyse periodischer Funktionen, einem Leckerbissen für Kenner, der eng mit dem Ehrfurcht gebietenden Namen „Fourier“ verbunden ist.

Also frisch ans Werk, so schwer kann das ja nicht sein. Wir schnappen uns ein paar elektronische Bauteile, fummeln einen Integrator und einen Komparator zusammen, und fertig ist der Sägezahn-Oszillator. Der erzeugt eine gleichmäßig ansteigende Spannung, die nach einer bestimmten Zeit abrupt abfällt, um dann abermals wieder anzusteigen usw. – sieht aus wie Zähne eines Sägeblattes und heißt deshalb auch so. Schnell an den heimischen Gitarrenverstärker angeschlossen, ertönt ein sattes Brummen oder Pfeifen, je nachdem, wie schnell der Oszillator schwingt, also Zähne auswirft.

Wie, das soll nicht analog, sondern digital direkt „im Rechner“ (z. B. von einem VST-Plugin) gemacht werden? Kein Problem: Schön regelmäßig mit der Samplingfrequenz einen Wert ausgeben, wobei sich jeder Wert aus der Summe des vorherig ausgegebenen Wertes und eines zweiten, konstanten Betrages ergibt. Ist der Wert höher als ein bestimmter Maximalwert, fängt man wieder bei Null (oder einem anderen beliebigen Startwert) an.

Technisch gesehen scheint das ja alles kein Problem zu sein, egal ob analog oder digital. Das gilt auch für andere „klassische“ Wellenformen wie Rechteck, Dreieck oder Sinus. Die Frage ist nur, wie man sich seine eigene Traum-Wellenform baut. Bräuchte man dazu für jede Wellenform einen eigenen Schaltkreis oder ein eigenes Programm, wäre das nicht besonders effektiv! Der Schlüssel hierzu liegt im Verständnis, was so eine Wellenform eigentlich ausmacht, wie man sie parametrieren kann – wir wollen uns eine beliebige Wellenform mit Hilfe möglichst weniger Stellschrauben (Parameter) zielgerichtet zurechtbiegen.

Eine Möglichkeit, dies zu bewerkstelligen, haben wir schon kennengelernt: Bei der FM-Synthese „verzerrt“ man durch Frequenzmodulation eine gegebene Sinus-Schwingung zu einer beliebigen anderen Wellenform. Die wenigen benötigten Parameter (Frequenz und Tiefe der Modulatoren) sind überschaubar, aber leider nicht sehr „sprechend“. Denn es ist keineswegs klar, wie wir die „richtige“ Verzerrung hinbekommen.

Sinus & Co machen eine Welle

Bei dieser Überschrift ahnt man schon, worauf ich hinauswill: Jede beliebige Wellenform lässt sich aus der Summe von Sinus- und Cosinus-Schwingungen (Harmonischen) unterschiedlicher Frequenz und Lautstärke (Amplitude)herstellen.

Das macht man sich unter anderem bei der Additiven Synthesezunutze. Die Bedeutung der einzelnen Parameter, nämlich genau die Frequenzen und die Amplituden der einzelnen Harmonischen, leuchtet unmittelbar ein. Je nach An- oder Abwesenheit bestimmter Frequenzanteile klingt ein Ton dumpf, hell, mittig oder nasal.

Addiert man Sinus-Schwingungen unterschiedlicher Frequenz und Amplitude (links), so erhält man eine neue Wellenform (rechts). Prinzipiell lässt sich so jede beliebige Wellenform erzeugen.

Dummerweise kann die Anzahl der Sinus- und Cosinus-Schwingungen, die zur Synthese einer bestimmten Wellenform erforderlich sind, ziemlich groß werden – ein echtes Manko, weshalb man bei der sogenannten Subtraktiven Synthese versucht, genau den umgekehrten Weg zu gehen. Man nimmt sich eine Wellenform, die bereits aus sehr vielen Harmonischen besteht (z. B. einen Sägezahn oder ein Rechteck) und filtert gezielt bestimmte Frequenzbereiche heraus.

Weil das technisch sehr einfach und auch für den Menschen intuitiv begreifbar ist, hat sich die Subtraktive Synthese schon sehr früh als dieklassische Art der Klangsynthese etabliert. Fast alle Synthesizer, ob analog oder digital, setzen in irgendeiner Form auf dieses Konzept; selbst den Nachfolgern des DX7 wurden später in den 1990er Jahren ein oder mehrere Filter spendiert.

Aussicht

Nach diesem kurzen Überblick ist der Weg frei, um sich in folgenden Beiträgen näher mit den verschiedenen bekannten (und weniger bekannten) Syntheseformen zu beschäftigen. Dabei soll dann auch der historische Hintergrund ein wenig beleuchtet werden – es ist manchmal wirklich überraschend, wie „alt“ so manche „moderne“ Idee schon ist!

Wenn Fragen auftauchen, bitte hier in den Kommentaren stellen. Natürlich sind auch Anregungen jedweder Art willkommen.

Hier geht’s zum Teil 2 der Serie über Additive Synthese.