Es ging gerade durch die Presse: Ein Vorschlag zur Normierung von Musikinstrumenten wurde von der ISO abgelehnt. Warum das sehr gut ist, obwohl Normen doch eigentlich hilfreich sind, erzähle ich hier.

Man stelle sich das mal vor: Jeder Synthesizer hat unter bestimmten Rahmenbedingungen gleich zu sein. Also: gleiche Klangerzeugung, gleiche Bedienelemente, gleiche Abmessungen, gleich große Tastatur … Jaja, ich höre schon einige von euch sagen: „Gab’s doch alles schon – in den 90ern!“ Okay, zugegeben: Es gab damals eine Zeit, als alle Synthesizer sich sehr ähnelten. Alles schwarze Kisten mit einem Display, ein paar Tasten und meist nur einem Schieberegler. Zur Klangerzeugung gab’s ein Sample-ROM mit verschieden guten Filtern. Auch die 19-Zoll-Synths von damals sehen auf den ersten Blick alle ziemlich gleich aus. Aber eben nur auf den ersten Blick! Und in der Geschichte der Synthesizer war das ja auch nur ein kurzer Abschnitt.

Bei Synthesizern bewegen wir uns längst wieder im progressiven Bereich der Instrumentenentwicklung. Nicht nur das Eurorack hat ganz neue Dinge hervorgebracht. Auch neue „große“ Synthesizer wie der Korg Prologue überraschen uns immer wieder mit neuen Ideen. Und sie zeigen, dass hier das Ende der Fahnenstange in Sachen Fortschritt noch längst nicht erreicht ist. Mal ein kleiner Seitenhieb Richtung Gitarrenfraktion, die ja schon die Nase rümpft, wenn sich die (Gibson-)Gitarre von selber stimmen kann. 😉

Dieser Fortschritt geht nur, da es im Synthesizer-Bereich kaum Normen gibt. Klar, ein 19-Zoll-Gerät sollte auch 19 Zoll breit sein, ebenso haben die Eurorack-Module eine genormte Höhe und Stromversorgung. Auch MIDI unterliegt einer Norm, damit die Gräte miteinander kommunizieren können. Aber sonst? Erlaubt ist, was gefällt. Selbst an die DIN 8996, die Norm zur Größe einer Klaviatur, halten sich die Entwickler nur sehr bedingt. Und das ist gut so. Nur durch diese Freiheiten können sich Entwickler neue Syntheseformen ausdenken, neue Wege bei der Signalverschaltung gehen oder Experimente bei der Dateneingabe machen.

Ja, aber das ist doch selbstverständlich! Es handelt sich doch um Instrumente – und da geht die künstlerische Freiheit über alles! Von wegen! Das ist zwar ein sehr ehrenwerter Gedanke, aber gerade hat sich mal wieder gezeigt, dass Musikinstrumente eben auch industriell hergestellte Produkte sind und dass es Hersteller gibt, die diese Freiheiten zu ihren Gunsten einschränken möchten.

Eine Norm für alle Instrumente? Was war passiert?

Zur Erinnerung oder falls du es nicht mitbekommen hast: Die chinesische Normungsbehörde SAC hatte vor einigen Wochen bei der ISO, der Internationalen Organisation für Normung, einen Antrag auf die Einführung von Standards für Musikinstrumente eingereicht. Genauer gesagt sollte ein Ausschuss gegründet werden, der über solche Standards entscheiden sollte.

Dabei sollten Instrumente einheitlich klassifiziert werden oder auch Prüfverfahren zur Begrenzung gefährlicher Stoffe für Musikinstrumente eingeführt werden. Die musikalische Darbietung auf Musikinstrumenten sollte beurteilt werden und es sollten auch Normen für diverse Instrumentengattungen und das komplette Zubehör geben.

Synthesizer waren übrigens nicht direkt dabei, zumindest vorerst. Aber hätte sich die Mehrheit der ISO-Mitglieder dem Antrag angeschlossen, wäre es sicher nur eine Frage der Zeit gewesen, bis diese Normen und Verbindlichkeiten auch auf weitere Instrumentengruppen wie zum Beispiel Synthesizer erweitert worden wäre.

Normen sind doch gut, oder?

Wir Deutschen sind ja eigentlich quasi die Weltmeister der Norm. Die neben der ISO sicher weltweit bekannteste ist die DIN, die Deutsche Industrie Norm. Und oft ist gegen Normierung ja auch nichts einzuwenden. Wenn eine Mutter für eine Schraube immer gleich groß ist, ist das ja sicher nicht verkehrt (regelt DIN 934!).

Und selbst bei dem, was ich hier gerade tue, nämlich schreiben, gibt es Normen. Nicht nur die Vorschläge, welche die Redaktionen von Duden oder Wahrlich Jahr für Jahr zur einheitlichen Rechtschreibung machen, nein es gibt sogar eine DIN! DIN 5008 legt Schreib- und Gestaltungsregeln für die Textverarbeitung fest. Da steht zum Beispiel drin, dass es 10 %, 5 W oder 20 kHz und nicht 10%, 5W oder 20kHz sein soll. Ja, tatsächlich, die Tatsache, dass da ein Leerzeichen reingehört, ist mit einer DIN geregelt.

MIDI-Trio, hier bei einem MicroKorg

Auch bei Synthesizern sind wie bereits erwähnt ein paar Dinge genormt, das MIDI-Protokoll zum Beispiel. Wäre ja auch schön blöd, wenn da jeder sein eigenes Süppchen kochen würde und die Synthesizer dann nicht miteinander kommunizieren könnten. Bis zum MIDI-Standard passierte übrigens genau das! So war CV/Gate längst nicht immer gleich. Unterschiedliche Steuerspannungen pro Oktave ließen die Musiker früher gerne mal verzweifeln. Und gerade bei MIDI zeigt sich, dass eine einmal festgelegte Norm auch mal (relativ) schnell und einfach erweitert werden kann. Sonst wäre MIDI über USB nie möglich gewesen.

Instrumente in Klassen eingeteilt und spezifiziert

Auf den ersten Blick mag so ein Normen-Vorschlag für Instrumente vielleicht sogar positiv klingen. Die Begrenzung gefährlicher Stoffe klingt ja erst mal sehr gut. Und aus wirtschaftlicher Sicht mag vieles vom Rest für Hersteller, die große Massen produzieren, sogar verständlich sein. Aber wer hätte davon profitiert? Wahrscheinlich vor allem diejenigen chinesischen Hersteller, die ihre bereits vorhandenen Standards wohl für alle geltend machen wollten.

Gerade die einheitliche Klassifizierung von Instrumenten hätte mir große Kopfschmerzen bereitet. Klar, bei einer von Hand gefertigten Geige oder Gitarre, bei der es schon wegen des Materials Holz zu kleinen Abweichungen kommt, die die Instrumente so einzigartig machen, ist der Unsinn einer kompletten Vereinheitlichung wohl offensichtlich. Ein korrekt hergestelltes Instrument käme dann nur noch aus der Maschine oder dem 3D-Drucker. Ob sich eine Konzertgitarre, die von einem Meister komplett in Handarbeit gebaut wurde, überhaupt noch Gitarre nennen dürfte, wäre bei den zu erwartenden Abweichungen von der Norm schon fraglich.

Zwar wurden hier vor allem Produktionsprozesse nach vorne gestellt, aber die haben auch immer direkte Auswirkungen auf das fertige Produkt. Wir sprechen hier ja nicht von Schrauben und Muttern, die zum Beispiel beim Brückenbau zusammenpassen müssen, weil sie statische Relevanz haben, sondern von Instrumenten, die für die Entfaltung der individuellen Kreativität genutzt werden sollen.

Und damit hätten wir über kurz oder lang wohl auch bei Synthesizern Probleme bekommen. Jeder Synthesizer spielt sich anders, jeder wird anders bedient. Und doch dürfen sich alle Geräte Synthesizer nennen.

Gute Normen und übertriebene Normen

Wie war das noch gleich mit Holz bei Instrumenten?, Foto: M. Vail

Wenn es um Verbesserungen der Produktion geht, die dem Schutz von Mensch und Umwelt dienen, darf es gerne Richtlinien und Normen geben. Das bleifreie Lötzinn war so etwas, das auch bei der Herstellung neuer Synthesizer für größere Umstellungen sorgte. Finde ich gut! Bei den Saiteninstrumenten fällt mir CITES ein, das regelt, welche Hölzer zum Bau verwendet werden dürfen. Schließlich soll so der Raubbau an der Umwelt und das Abholzen von Regenwald verhindert werden. Die Probleme, die entstehen, wenn man für seine Gitarre mit entsprechendem Holz kein Zertifikat hat, sind dabei die andere Seite, mit der wir Synthesisten uns zum Glück nicht beschäftigen müssen. Zumindest, solange wir kein Instrument mit Seitenteilen aus Palisander haben …

Für die meisten Dinge braucht man beim Synthesizer keine Norm! Klangerzeugung? Soll sich der Hersteller ausdenken! Mit handelsüblichem Strom aus der Steckdose sollen sie funktionieren. Auf den Rest einigte man sich freiwillig. Ein Signalausgang ist ja immer irgendwie vorhanden. Klar, alles andere wäre albern. Aber ob der nun als XLR, Klinke oder Miniklinke ausgelegt ist, ob mono oder stereo oder vielleicht auch als Multiout, spielt keine Rolle. Das regelt nämlich nicht eine Normenstelle, sondern der Markt. Wenn alle einen Klinkenausgang haben wollen und keiner was anderes kauft, dann werden die Hersteller schon darauf reagieren.

Die Gefahren der Übernormierung

Stell dir mal vor, Synthesizer unterlägen einer bestimmten Klassifizierung. Und nun kommt ein Hersteller daher und entwickelt eine neue Syntheseform. Oder ein Hybrid-Instrument! Passt nicht in die Klassifizierung, ist also kein Synthesizer! Böser Hersteller, ob er er sein Instrument dann noch Synthesizer nennen dürfte?

Erlaubt wäre dann nur noch, was in der Norm festgelegt wurde.

Oben habe ich ja bereits die DIN 8996 erwähnt. Darin ist festgelegt, dass 88 Tasten beim Klavier eine Breite von 1227 mm haben sollen, bei einer Toleranz von 4 mm. Eine einzelne weiße Taste soll bitteschön 23,7 mm breit sein. Wie schön, dass sich beim Synthesizer kaum einer daran hält.

Diese Tastatur hält sich jedenfalls nicht an die DIN 8996. 😉

Von meinen über 30 Hardware-Synthesizern und Klangerzeugern in meinem Studio haben 14 eine Klaviatur. Die beiden mit gewichteter Tastatur bleiben innerhalb der Norm, aber der Rest? Nö. Von den Minitasten beim MicroKorg oder den Roland-Boutiques will ich ja gar nicht erst reden. Selbst die Synthesizer mit großen Tasten nehmen auf diese Norm keine Rücksicht. So sind zum Beispiel die Tasten meines Roland Jupiter-6 oder meines Korg DSS-1 keine 23 mm breit, sondern schmaler. Gut so!

Ein Beispiel aus der Musik

Warum die Normierung ein echter Kreativitätskiller sein kann, zeigt ein Beispiel aus der noch halbwegs jüngeren Musikgeschichte: Erinnern wir uns mal an Techno zurück! Als ich Ende der 80er, Anfang der 90er damit anfing, gab es einen gemeinsamen Nenner: die 4-on-the-floor-Kick. Die musikalische Vielfalt innerhalb dieser Bewegung schien grenzenlos. In meinen Plattenkisten tummeln sich unzählige Vinyl-Zeitzeugen, die das belegen. Als ein paar Jahre später alle „Raver“ in T-Shirts bestimmter Marken rumzulaufen hatten, war auch die Musik so genormt, dass die Vielfalt auf der Strecke blieb. Wer nun bestimmte Sounds nicht benutze, wurde von den Plattenlabels gnadenlos ignoriert. Und während man zu Beginn der Technobewegung nur gute Laune in den Club mitbringen musste (warum höre ich jetzt gerade Sven Väth sprechen? Achtung, für den Link braucht ihr Flash!), waren es später eben auch die „richtigen“ Klamotten. Inzwischen benutzen viele EDM-Produzenten der populäreren Richtungen wie z. B. Progressive House oder dem kommerziellen Trance alle die gleichen Sounds. Ich finde, vieles hört sich erschreckend gleich an. Die Essenz ist hoffentlich klar: Normierung tötet Vielfalt.

Zurück zu den Instrumenten und unseren Synthesizern.

Musikinstrumente gehören meiner Meinung nach nicht genormt. Soll doch jeder Hersteller bitteschön sein eigenes Ding machen. Wir Musiker haben damit die freie Wahl, welches Instrument uns mehr zusagt. Das gilt auch für unsere Synthesizer, die überwiegend aus Metall und (meist noch mehr) Kunststoff hergestellt werden.

Kreativität entsteht durch Vielfalt. Das sahen zum Glück wohl die meisten Mitglieder der ISO ebenso. Der Antrag der chinesische Normungsbehörde SAC verfehlte die nötige 2/3-Mehrheit zur Annahme bei der ISO deutlich. Nur fünf Mitglieder stimmten dafür, 19 Mitglieder dagegen, 15 Mitglieder enthielten sich. Weiter hätten mindestens fünf Mitglieder ihre Bereitschaft zur aktiven Mitarbeit erklären müssen, aber nur drei taten es.

Hoffen wir mal, dass es auch in Zukunft bei dieser Haltung bleibt und wir weiterhin unsere individuellen Musikinstrumente genießen können.